«Lebensführung» als Schulfach?


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«Lebensführung» als Schulfach?

Ein lohnender Blick auf die didaktisch-pädagogischen Herausforderungen des Fachbereichs «Wirtschaft, Arbeit, Haushalt»

Schlegel-Matthies, Kirsten / Wespi, Claudia (Hrsg.): Wirksamer Unterricht für Lebensführung, Baltmannsweiler 2021 (Reihe: Unterrichtsqualität: Perspektiven von Expertinnen und Experten Band 12)
Von Johannes Rudolf Kilchsperger

Verschiedene Schulfächer haben aufgrund des gesellschaftlichen Wandels oder der zunehmenden Verwissenschaftlichung Identitätsprobleme; einzelne sind dabei im Rahmen des Lehrplans 21 immerhin eindeutige Gewinner. Zu diesen gehört der Fachbereich «Wirtschaft, Arbeit, Haushalt», welcher die frühere «Hauswirtschaft» abgelöst hat. Diese Entwicklung hat ihren Preis, das Fach droht seinen beliebten Platz als praktisches Fach im Kanon der Fächer wie im Schulalltag einzubüssen. Mit den Pädagogischen Hochschulen ist der markante eigenständige Ausbildungsweg der Hauswirtschaftslehrerinnen längst verloren gegangen. Wirtschaft, Arbeit, Haushalt und Ethik, Religionen, Gemeinschaft haben sowohl thematisch spannende als auch strukturell und pädagogisch ergiebige Gemeinsamkeiten. Da lohnt es sich, Zusammenarbeit und fächerübergreifende Horizonte zu pflegen!

 

Das Gemeinsame herausarbeiten

Im Rahmen der Reihe «Unterrichtsqualität: Perspektiven von Expertinnen und Experten» ist zum Fachbereich Wirtschaft, Arbeit, Haushalt ein Interviewband erschienen, allerdings unter einem überraschenden und etwas irritierenden Titel: «Wirksamer Unterricht für Lebensführung»! Fächer mit Identitätsproblemen neigen dazu, sich zu übernehmen und ihre Möglichkeiten zu überschätzen. «Lebensführung» wirkt als Fachbezeichnung denn auch reichlich vollmundig. Im deutschen Sprachraum existiert für dieses Fach keine einheitliche Bezeichnung. Wie in den anderen Bänden der Reihe äussern sich hier eine breite Auswahl von Fachleuten, darunter – um auch dies zu erwähnen – drei männlichen Geschlechts. Die Buchreihe fragt dezidiert nach dem Spezifischen der Fachdidaktiken. Die hier Befragten beziehen sich gleichwohl vor allem auf allgemeindidaktische Konzepte und pädagogische Aspekte. Das Gemeinsame und Verbindende der Fächer wird durch den Boom der Fachdidaktiken nicht relativiert, vielmehr gerade neu herausgestellt! Die Skepsis des Rezensenten angesichts des fragwürdigen Buchtitels ist jedenfalls bei der Lektüre wachsender Zustimmung gewichen.

 

Orientierung an der Lebenswelt

Die Synthese der Herausgeberinnen Kirsten Schlegel-Matthies (Uni Paderborn) und Claudia Wespi (PH Luzern) zeigt Bemerkenswertes auf. Die Beiträge weisen dezidiert auf allgemeinpädagogische und allgemeindidaktische Qualitäten hin. Der gängige Topos, dass Lehrpersonen «über Wissen verfügen müssen, das sich am aktuellen Stand der fachwissenschaftlichen Forschung orientiert», wird überzeugend relativiert. Dieses Schulfach kann sich eben nicht auf eine einzelne Bezugswissenschaft abstützen, seine Relevanz liegt gar nicht in bloss akademischen Fragestellungen und Arbeitsweisen. Es hat pragmatischen Alltagsbezug, was Orientierungsleistungen nicht relativiert, vielmehr gerade erfordert. Die Lebenswelt ist in diesem Fach «Ausgangspunkt, Gegenstand und Ziel des Unterrichts» zugleich. Eine Lehrperson muss denn auch diese Herausforderungen annehmen und vor allem «Freude haben an dieser Komplexität und an steten Veränderungen». Sie muss fähig sein, «in seriösen Quellen aus unterschiedlichen Disziplinen zu recherchieren». Im Kern geht es im Fach um Ernährung, Haushalt und Konsum. Die damit verbundenen Fragen bleiben bei allem Wandel pädagogisch wie gesellschaftlich aktuell und werden sogar brisanter. Da braucht man sich keine Sorgen um ein angeblich antiquiertes Image des Faches zu machen. Das Fach muss weder Wissenschaftlichkeit meiden noch vortäuschen. Lehrpersonen können das Fach selbstbewusst vertreten und Schülerinnen und Schüler anleiten, sensibilisieren und sogar begeistern. Sie sollen laut Fachexponentinnen den Unterricht «mit Liebe und Freude am Beruf und am Fach mit umfangreichem Fachwissen und umfangreichen Fachkompetenzen» bestreiten, sie sollen «im Unterricht authentisch sein und mit Überzeugung, mit Humor und mit Neugierde ihren Schülerinnen und Schülern gegenüber unterrichten». Das sind in unserer Zeit wohltuende Töne, die einen an die Chancen und das Gelingen des Faches glauben lassen. So behält es gewiss seine Rolle und gewinnt hoffentlich an Bedeutung in Schule und Lehrerbildung!

 

Artikelnachweis
Kilchsperger, Johannes Rudolf (2021). «Lebensführung» als Schulfach? Ein lohnender Blick auf die didaktisch-pädagogischen Herausforderungen des Fachbereichs «Wirtschaft, Arbeit, Haushalt», in: erg.ch – Materialien für das Fach Ethik, Religionen, Gemeinschaft (Online-Publikation), https://www.ethik-religionen-gemeinschaft.ch/lebensfuehrung-als-schulfach/